Automatisierter Maschinenbaulernbetrieb in Paderborn – Prof. Dr.-Ing. Katrin Temmen im Interview

Im Rahmen des Konzeptes der digitalen Bildungsregion OWL wurde am Richard-von-Weizsäcker-Berufskolleg (RvWBK) in Paderborn der „Automatisierte Maschinenbaulernbetrieb“ ins Leben gerufen. In diesem sollen auf der einen Seite Schüler*innen allgemeinbildender Schulen einen Einblick in moderne Produktionsprozesse und den immer wichtiger werdenden Bereich der Industrie 4.0 erhalten. Auf der anderen Seite soll der Maschinenbaulernbetrieb jedoch auch für die Schüler*innen des RvWBK entwickelt werden, die hier ebenfalls einen Einstieg in die Thematik Industrie 4.0 erhalten und darauf aufbauend verschiedene Lernsituationen zu Aspekten des Maschinenbaulernbetriebs bearbeiten werden. Anders als an anderen Standorten wird dabei nicht auf fertige Lösungen gesetzt, sondern der bestehende Maschinenpark des Berufskollegs im Sinne von Industrie 4.0 erweitert. Das Projekt und die Entwicklung des didaktischen Konzeptes wird durch die Universität Paderborn wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Zielsetzung ist es, Schüler*innen, die den Maschinenbaulernbetrieb für einen Tag besuchen, für MINT-Studien- und -Ausbildungsplätze zu begeistern und die berufliche Bildung des Berufskollegs hinsichtlich Industrie 4.0 zu stärken.

Das Projekt Automatisierter Maschinenbaulernbetrieb (MLB 4.0) am Richard-von-Weizsäcker-Berufskolleg (RvWBK) soll einen Einblick in moderne Produktionsprozesse und den Bereich Industrie 4.0 geben. Inwieweit wird den Schüler*innen dabei das Konzept Arbeit 4.0 vermittelt?

Katrin Temmen: Industrie und Arbeit 4.0 zeichnen sich in erster Linie durch die Vernetzung aller Bereiche eines Unternehmens aus. Diese Vernetzung erleben die Schüler*innen, die den Maschinenbaulernbetrieb besuchen, in allen Tätigkeiten des Tages: Die Fertigung kann nicht ohne die Ergebnisse aus dem Marketing arbeiten, die Montage benötigt die Ergebnisse aus der IT, usw. Die Kommunikation läuft dabei, wie in echten Unternehmen, über ein Cloud-System, sodass der Maschinenbaulernbetrieb auch hier möglichst realitätsnah bleibt. Zusätzlich wird auch die immer zunehmende Digitalisierung, die Arbeit 4.0 ebenfalls auszeichnet, berücksichtigt. Die Schüler*innen führen die verschiedenen Aufgaben mit jeweils didaktisch passenden, digitalen Medien durch.

Wie gestaltet sich der Ablauf eines Schülertages im Maschinenbaulernbetrieb?

Temmen: Hier muss zunächst zwischen den beiden Zielgruppen des Schülertages differenziert werden. Für externe Schüler*innen stehen sowohl das Interessewecken für MINT-Fächer als auch die Berufs- und Studienwahl im Fokus. Für interne Schüler*innen ist die Berufs- und Studienorientierung nicht wichtig, sodass diese hier wegfällt. Die inhaltlichen Aspekte sind jedoch für beide Gruppen identisch. Zu Beginn des Tages erhalten die Schüler*innen eine kurze Einführung in die Thematik Industrie 4.0. Darauf aufbauend teilen sie sich dann – gemäß ihrer eigenen Interessen – in verschiedene Abteilungen auf, die gemeinsam das fiktive Unternehmen des Maschinenbaulernbetriebs bilden. Innerhalb dieser Abteilungen führen die Schüler*innen dann über den gesamten Tag ganz berufstypische Aufgaben durch, wie beispielsweise das Programmieren einer Augmented-Reality-Anwendung in der Abteilung IT oder das Erstellen eines Werbefilms in der Abteilung Marketing. Alle Tätigkeiten in den einzelnen Abteilungen tragen dabei zum Entstehen eines gemeinsamen Produktes bei, welches die Schüler*innen am Ende des Tages mit nach Hause nehmen können. An verschiedenen Stellen werden für die externen Schüler*innen außerdem immer wieder Informationen zur Berufs- und Studienorientierung gegeben, um ihnen mögliche Berufswege, besonders im MINT-Bereich, aufzuzeigen.

Ziel des Schülertages für externe Schüler*innen ist die Berufs- und Studienorientierung für die sogenannten MINT-Fächer. Wie genau stellen Sie Bezugspunkte für Studiengänge der Universität Paderborn sowie für mögliche Ausbildungsberufe her?

Temmen: Ein wichtiger Baustein für die Berufs- und Studienorientierung sind sicherlich die sogenannten Role -Model -Vorträge. Dazu sollen reale Vertreter*innen aus den beiden Einzugswelten Berufsbildung und Studium in den Maschinenbaulernbetrieb eingeladen werden, um den teilnehmenden Schüler*innen von ihren eigenen, persönlichen Berufswegen zu erzählen. Auf Seiten des Studiums können dies zum Beispiel aktuelle oder ehemalige Studierende sein. Auf der Seite der Berufsbildung hingegen können es beispielsweise Auszubildende oder Ausbilder*innen aus Betrieben der Umgebung sein. Auf diese Weise erhalten die Schüler*innen sehr realitätsnahe Informationen über mögliche Berufswege. Zusätzlich werden allerdings auch an verschiedenen Stellen Informationen gegeben, in welchen Berufen, Ausbildungs- oder Studiengängen die jeweiligen Tätigkeiten wiederzufinden sind und wie sich die Schüler*innen dahingehend weiter informieren können.

Der erste Meilenstein des Projektes wurde nun erreicht: Sie haben ein didaktisches Konzept für den Maschinenbaulernbetrieb aufgestellt. Dieser soll im Herbst diesen Jahres anlaufen. Welche Zwischenschritte möchten Sie bis zu diesem Zeitpunkt noch erreichen, um einen Anlauf garantieren zu können?

Temmen: Das didaktische Konzept für den Schülertag des Maschinenbaulernbetriebs stellt eine wichtige Basis für weitere Entwicklungen dar. Besonders für den Besuch externer Schüler*innen müssen bis zum Herbst noch einige organisatorische Aspekte bearbeitet werden, um dieser Schüler*innengruppe einen reibungslosen Ablauf bieten zu können. Für die Nutzung des Maschinenbaulernbetriebs mit internen Schüler*innen ist der nächste wichtige Schritt das Finden und Spezifizieren von möglichen Anknüpfungspunkten, welche in Lernsituationen innerhalb des Regelunterrichts bearbeitet werden können. Beispielhaft ist hier das Programmieren eines eigenen MES (Manufactoring Execution System) mit Informatikklassen angedacht. So bietet der Maschinenbaulernbetrieb den internen Schüler*innen die Möglichkeit, Industrie 4.0 nicht nur an einem „Einstiegstag“ im Überblick kennenzulernen, sondern darüber hinaus in Lehr-Lernszenarien in ihren Bildungsgängen an der weiteren Ausgestaltung des Maschinenbaulernbetriebs mitzuwirken.

Was wünschen Sie sich für den Start des MLB 4.0?

Temmen: Zu wünschen ist in erster Linie, dass sich die Corona-Situation in Deutschland bis zum Herbst soweit entspannt hat, dass Schulklassen den Maschinenbaulernbetrieb besuchen können. Das Angebot lebt davon, dass die Schüler*innen die verschiedenen Tätigkeiten tatsächlich selbst durchführen können, weswegen eine digitale Umsetzung hier nicht denkbar ist. Wenn eine Durchführung möglich ist, wünsche ich mir vor allem, dass die Schüler*innen, die den Maschinenbaulernbetrieb besuchen, Spaß haben und wir sie für die MINT-Fächer begeistern können, sodass sie eine Ausbildung oder ein Studium in diesem Bereich in Erwägung ziehen. Gleichzeitig wünsche ich mir für die Schüler*innen des RvWBK, dass der MLB einen praktischen und spannenden Einstieg in die Thematik Industrie 4.0 bieten kann und dass damit und daran im Unterricht gezielt weitergearbeitet und damit der MLB stetig weiterentwickelt werden kann.

Das Konzept des Maschinenbaulernbetriebs ist zunächst fest in Paderborn angesiedelt. Gibt es Überlegungen, dieses Konzept auch in weiteren Städten und Universitäten einzuführen?

Temmen: Ja, dieses Ziel ist von Anfang an – bereits bei der Projektkonzeption – mitgedacht worden. Sobald die ersten Lehr-Lernszenarien in den unterschiedlichen Bildungsgängen am RvWBK entwickelt, erprobt und evaluiert sind, sollen sie im Rahmen der OWL-weiten Vernetzung über eine Lernplattform abgerufen werden können. Dadurch soll die Nutzung in den Teilregionen für Remote-Anwendungen im Maschinenbaulernbetrieb in Paderborn ermöglicht werden. Der Maschinenbaulernbetrieb ist dadurch ein wertvoller Beitrag für den regionalen Vernetzungsansatz.

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